Hochsensibilität im beruflichen Alltag

Pusteblume - Hochsensibilität im beruflichen Alltag
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Ein Appell an „Betroffene“, Kollegen und Vorgesetzte

Alles, was ich machen kann, ist immer, ich selbst zu sein, egal, wer das sein mag.
_Bob Dylan

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass sich unsere Gesellschaft in zwei Lager aufgeteilt hat: Da gibt es die, die hart sind, tough, ohne Schwierigkeiten ihre 60-Stunden-Wochen meistern und nebenbei noch Zeit und Energie haben, Sport zu treiben, hin und wieder Freunde zu treffen und ein gutes Buch zu lesen.

Und dann gibt es die anderen: Im Gegensatz zu Ersteren sehnen sie sich nach Ruhe, fühlen sich schneller überfordert, haben Schwierigkeiten mit dem Zwang, immer erreichbar sein zu müssen, nie abschalten zu können und erleiden im schlimmsten Fall ein Burnout. Das sind die „Sensibelchen“, wie sie manchmal vielleicht von Kollegen, Freunden oder Vorgesetzten genannt werden. In der Wissenschaft spricht man seit den Forschungsarbeiten von Dr. Elaine Aron und ihrem Mann Arthur Aron Anfang der 90er-Jahre von Hochsensiblen (sogenannte HSP: highly sensitive persons), die bis zu 25 Prozent unserer Gesellschaft ausmachen sollen.

Durchlässigere Reizfilter

Hochsensibilität wirkt sich auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Umgebungsreizen aus: Es werden mehr oder feinere Signale wahrgenommen. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass die natürlichen Reizfilter von Hochsensiblen weniger streng arbeiten und deshalb mehr Reize durch- beziehungsweise ankommen lassen. Typischerweise stellen sich dadurch zum Beispiel Sinnesempfindungen als feiner heraus. Außerdem gilt das Innenleben dieser Personen als besonders vielschichtig, die emotionale Empfindsamkeit, was eigene aber auch fremde Gefühle betrifft, ist erhöht. Nicht zuletzt lässt sich zudem häufig eine reduzierte Belastbarkeit und vermindert ausgeprägter Konkurrenzgeist erkennen.

Nach derzeitigem Forschungsstand ist Hochsensibilität erblich. Konkret kann sie sich zum Beispiel darin zeigen, dass Hochsensible feinere Düfte wahrnehmen, Geräusche lauter hören oder auf kratzige Stoffe empfindlicher reagieren. Auch kann es sein, dass Hochsensible eigene positive und auch negative Gefühle intensiver erleben und die Stimmungen ihrer Umgebung ebenfalls sensibel aufnehmen (können).

Gute Zusammenarbeit mit Hochsensiblen

Eine Hochsensibilität bringt einige Vorteile mit sich: Hochsensible Personen sorgen dank ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinns und Harmoniebedürfnisses häufig für ein kollegiales Miteinander im Büro. Auch sind sie häufig besonders gute Zuhörer und zeichnen sich durch ihre charakteristische Empathiefähigkeit aus. Oft können sie ihre eigenen Bedürfnisse gut hinten anstellen, wodurch andere anfallende Aufgaben in den Vordergrund rücken können. Und nicht zuletzt zeichnet Hochsensible ihr hoher Perfektionismus sowie ihre Fehlersensibilität aus, weshalb ihre Arbeit in den meisten Fällen von sehr guter Qualität ist.

Ablenkbarkeit durch Reizüberflutung

Es gibt jedoch auch eine Kehrseite, mit der sich Hochsensible auseinandersetzen müssen. Allen voran können sie ihre Bedürfnisse nach mehr Zurückgezogenheit, Ruhe und niedrigerem Reizreichtum in der Regel nicht in unseren Berufsalltag integrieren. Dadurch kann es schneller zu Erschöpfung und Überforderung kommen. Durch die erhöhte Reizwahrnehmung kommt es zudem zu einer erhöhten Ablenkbarkeit: Konkurrieren viele Umgebungsreize um die Aufmerksamkeit, fällt das Fokussieren auf eine Sache schwer. Darüber hinaus werden hochsensiblen Personen erhöhte Selbstzweifel nachgesagt. Zum einen liegt das vermutlich an den (Alltags-)Schwierigkeiten von Hochsensiblen, zum anderen gehört dieser Wesenszug wahrscheinlich häufig einfach zu ihrem Charakter dazu.

Lösungen für einen ausgeglichenen Arbeitsalltag

Was kann man „Betroffenen“, Kollegen, Mitarbeitern oder Vorgesetzten zum Umgang mit Hochsensibilität empfehlen, damit einhergehende Schwierigkeiten reduziert werden können? Hochsensiblen selbst ist zu raten, dass sie sich immer wieder kleine Auszeiten vom bunten Arbeitsalltag nehmen. Sei es hin und wieder eine alleine verbrachte Mittagspause oder zwischendurch ein kleiner Spaziergang. Womöglich sind Einzelbüros Mehrpersonenbüros vorzuziehen. Wenn das nicht möglich ist, haben Sie Mut und fragen Sie Ihren Vorgesetzten, ob Sie zum Beispiel etwas früher als Ihre Kollegen anfangen dürfen, um ein wenig ungestört arbeiten zu können. Manchmal hilft es, wenn Sie als „Betroffener“ in einem vertraulichen Rahmen Ihre Gedanken und Bedürfnisse offen ansprechen und somit Missverständnisse gar nicht erst aufkommen lassen. Das ist aber kein Muss und zu viel (Selbst-)Erklärung nicht notwendig. So ist es in der Regel für alle Beteiligten am besten, wenn eine Hochsensibilität nicht zum beherrschenden Thema gemacht und eine Person dadurch darauf reduziert wird oder sich selbst darauf reduziert.

Tipps für das Umfeld

Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten kann mit auf den Weg gegeben werden, dass sie das Bedürfnis nach Rückzug nicht persönlich nehmen sollten. Genannte Momente des Alleinseins dienen als Kraftquellen für Hochsensible und zur Prävention von Stressempfinden und Belastung. Darüber hinaus ist Feedback für Hochsensible, trotz der häufigen Selbstzweifel, genauso wichtig wie für alle Mitarbeiter. Es ist generell jedoch hilfreich, sich das Sprichwort „Der Ton macht die Musik“ ins Gedächtnis zu rufen. Allerdings ist das kein Aufruf zum Auspacken der Samthandschuhe.

Und in diesem Sinne ist auch der gesamte Artikel nicht gemeint. Er ist vielmehr als Appell zu verstehen, ob nun als direkt oder indirekt „Betroffener“, die damit einhergehenden Stärken auf vielfältige Weise einzusetzen und Schwierigkeiten keinen Raum zu geben. Und schlussendlich rüstet das Wissen um Hochsensibilität und ihre Auswirkungen „Betroffene“, Kollegen, Mitarbeiter sowie Vorgesetzte genau dazu aus: Jedem Arbeitnehmer und damit Menschen soll ermöglicht werden, sein volles Potenzial zu entfalten und unter guten Bedingungen sein individuell Bestes geben zu können.

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