Geschäftsführerin in Teilzeit

Von Job-Sharing bis Top-Sharing - Wie Führung in Teilzeit gelingt- Smartwatch am Handgelenk einer Frau
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Wie Führung mithilfe flexiblerer Arbeitszeitmodelle gelingt

Führen in Teilzeit ist möglich. Im Interview mit unserem Kooperationspartner LOB verrät eine Geschäftsführerin, wie das funktioniert.

Brigitte Abrell war erst wenige Wochen Geschäftsführerin, als sie schwanger wurde. Für sie war klar, dass sie auch mit Kind diese Position beibehalten wollte. 2003 eine noch eher ungewöhnliche Situation. Wie Abrell ihr Modell gefunden hat, wie sie es umgesetzt hat und was sie Unternehmen wie Führungskräften rät, verrät sie im Gespräch mit LOB.

Was heißt Teilzeit bei einer Führungskraft? Wird dann aus einer 60-Stunden-Woche eine 40-Stunden-Woche?

Da haben Sie recht! Für manche Führungskraft wäre eine 40-Stunden-Woche schon ein Fortschritt hin zu einer ausgewogeneren Work-Life-Balance! In aller Regel haben sich Teilzeitmodelle mit einer Arbeitszeit im vollzeitnahen Bereich ab etwa 75 Prozent der Normalarbeitszeit bewährt. Kann dieses Arbeitsvolumen nicht erbracht werden, sollte über ein Job-Sharing nachgedacht werden.

Sie haben als Führungskraft in Teilzeit gearbeitet, um Karriere und Kind vereinbaren zu können. Wie kam es dazu?

Ich war erst wenige Wochen Geschäftsführerin, als ich schwanger wurde. Mir war klar, dass ich meinen Beruf auch mit Kind nicht aufgeben wollte. Ich arbeite gerne, hatte einiges an Zeit und Energie in meinen beruflichen Aufstieg investiert und wusste, so ohne Weiteres würde ich an meinem Wohnort nach einer längeren Pause keine adäquate Stelle mehr finden. Außerdem wollte ich schon immer beides haben – Beruf und Familie. Mit Kind in Teilzeit weiterzumachen war daher die naheliegende Lösung.

Wie haben Ihre Vorgesetzten beziehungsweise die Geschäftsleitung reagiert? Mit welchen Argumenten haben Sie sie überzeugt?

Für meinen Arbeitgeber war das damals – 2003 – eine durchaus exotische Situation. Es gab nur wenige weibliche Geschäftsleiterinnen und keine mit Kleinkind oder in Teilzeit. Doch ich war schon über zwanzig Jahre im Unternehmen beschäftigt, und da Frauen für Führungspositionen gewonnen werden sollten, war bereits ein Prozess des Umdenkens eingeleitet worden. Eine grundsätzliche Bereitschaft, mir die Reduzierung der Arbeitsstunden zu ermöglichen, war da. Auch die personelle Besetzung machte eine Reduzierung der Arbeitsstunden möglich.

Ich habe mir daher ein grobes Konzept erstellt, wie ich meine Aufgaben auch in Teilzeit zuverlässig erledigen könnte und meinem Arbeitgeber angeboten, bereits nach wenigen Monaten wieder an meinen Arbeitsplatz zurück zu kehren. Mein Plan: Die ersten drei Monate mit 60 Prozent der Normalarbeitszeit beginnen und dann dauerhaft auf 80 Prozent erhöhen. Die Verteilung sollte zuerst auf drei, dann auf vier Arbeitstage in der Woche erfolgen. Für die Übergangszeit konnte meine Stellvertreterin meine Aufgaben übernehmen. Meine konkrete Vorstellung von der Machbarkeit meiner Pläne haben meine Vorgesetzten überzeugt und sie wurden abgesegnet.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Führung in Teilzeit?

Die größte Herausforderung war, auch mit der neuen Arbeitszeit die Anforderungen des Arbeitsplatzes zu erfüllen, denn diese hatten sich durch meine Teilzeit nicht verändert. Ich musste daher möglichst schnell meinen Tätigkeitsbereich umorganisieren und meine Arbeitsweise optimieren. Aufgaben mussten delegiert, Abläufe neu gefunden und Vertretungsregelungen besprochen werden. Es lief am Anfang nicht immer rund und manche Lösung musste nachkorrigiert werden. Außerdem stand ich ständig unter Beobachtung. Meine Chef, meine Kollegen und auch mein Team wollten wissen, ob ich es in Teilzeit schaffen würde. Hinzu kam der Zeitdruck: mit der Tagesmutter war eine bestimmte Abholzeit für mein Kind vereinbart, die ich nicht nach Belieben überschreiten konnte. Es hat einige Monate gedauert und Nerven gekostet, bis mein Arbeitsvolumen und meine Arbeitszeit zusammen gepasst haben. Aber es hat sich gelohnt. Meine Teilzeit ist jetzt schon lange akzeptiert und zur Normalität geworden.

Was haben Sie aus diesen Erfahrungen gelernt und was raten Sie jungen Menschen, die eine Karriere anstreben und Kinder haben möchten?

Junge Menschen sollten sich bewusst damit auseinandersetzen, welches Lebensmodell sie anstreben und welche Auswirkungen sich daraus für ihr weiteres Leben ergeben. Dabei sollten sie sich nicht von althergebrachten Rollenbildern, sondern von ihren eigenen Werten und Vorstellungen leiten lassen. Familie und einen anspruchsvollen Beruf miteinander zu vereinbaren ist machbar. Voraussetzung ist, dass die Eltern bereit sind, sich auf dieses durchaus oft anstrengende, aber aus meiner Sicht lohnenswerte Lebensmodell einzulassen. Ihnen muss klar sein, dass sie ihre Lebens- und Arbeitsweise an die neue Herausforderung anpassen müssen. Insbesondere wenn die Kinder noch klein sind, wird ihre gesamte Kraft gefordert sein. Außerdem rate ich ihnen, Familiengründung und Karriereaufstieg möglichst zeitlich zu entzerren, weil jedes für sich alleine anstrengend genug ist. Kind plus Karriere ist nur machbar in einem familienfreundlichen Unternehmen. Dies gilt es bei der Wahl des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Wie muss das Unternehmen organisiert sein, damit Führen in Teilzeit funktioniert?

Wird die Arbeitszeit einer Führungskraft verkürzt, muss das Arbeitsvolumen im gleichen Umfang reduziert und auf andere, geeignete Mitarbeiter übertragen werden. Selbstverständlich immer mit entsprechender Einweisung. Durch weitere Delegation werden die dafür erforderlichen freien Kapazitäten an diesen Arbeitsplätzen geschaffen. Im Umfeld der teilzeitbeschäftigten Führungskraft sind Strukturen und Abläufe daraufhin zu überprüfen, ob sie einer Teilzeitbeschäftigung entgegen stehen und welche Alternativen möglich sind. Den Arbeitsplatz einer Führungskraft so umzugestalten, dass er in Teilzeit bewältigt werden kann, bedeutet für das Unternehmen und die betroffene Führungskraft zunächst einen organisatorischen Aufwand, der aber für das Gelingen dieses Modells unumgänglich ist, sich im Endeffekt aber auszahlt.

Inwieweit betrifft dies die Unternehmenskultur?

Die Kultur im Unternehmen ist wesentlich für das Gelingen von Führung in Teilzeit. Es muss die Bereitschaft vorliegen, Gewohntes zu hinterfragen und im Bedarfsfall anzupassen. Die Unternehmensleitung muss signalisieren, dass Teilzeitmodelle auch im Führungsbereich erlaubt sind und die Umsetzung konsequent von der nachgeordneten Hierarchie eingefordert wird.

Mitarbeiter sind es gewohnt, dass ihre Führungskraft ständig erreichbar ist. Wie haben Sie die Erreichbarkeit geregelt? Was gilt es hier zu beachten, damit Führen in Teilzeit funktioniert?

Viele vergessen, dass eine Führungskraft auch wenn sie nicht Teilzeit arbeitet nicht ständig anwesend ist. Während Meetings, beruflicher Reisen oder sonstiger Außer-Haus-Termine. Selbstverständlich ist auch für eine Teilzeit-Führungskraft eine der Aufgabe entsprechende Mindestanwesenheitszeit im Büro wichtig. Hauptsächlich vom Home-Office aus zu führen, wird in den meisten Fällen nicht funktionieren.

Um in Teilzeit führen zu können, bedarf es klarer Regeln: Wann ist die Führungskraft im Unternehmen präsent. Wer vertritt sie bei Abwesenheit. Sinnvoll ist es auch, einen ständigen Vertreter zu benennen, der über alle wesentlichen Vorgänge informiert ist und dessen Befugnisse eindeutig definiert sind.

Ich habe zum Beispiel einen Tag festgelegt, an dem ich länger im Büro bin und an dem dann unsere Besprechungen stattfinden. Während meiner Abwesenheit bin ich für Notfälle immer mobil oder Email erreichbar.

Welche Voraussetzungen muss eine Führungskraft mit sich bringen, damit sie führen kann, ohne ständig anwesend sein zu müssen?

Eine Führungskraft, die in Teilzeit führt, muss sehr gut organisiert sein, um in der kürzeren Arbeitszeit – und auch zuhause – alle wesentlichen Aufgaben zu schaffen. Sie muss diszipliniert sein, um umzusetzen was sie sich vorgenommen hat und dabei auf ihre Perfektionsansprüche verzichten. Sie muss delegieren können, ohne den Überblick zu verlieren und kommunikationsstark sein, um mit ihrem Team ohne ständige Präsenz im Kontakt zu bleiben und an alle wichtigen Informationen zu kommen. Mut und eine klare Vorstellung über die eigenen Lebensziele haben, um sich in ihrer Außenseiterrolle zu behaupten und Krisensituationen zu überstehen. Niemand muss diese Eigenschaften und Fähigkeiten in Perfektion von vornherein mitbringen. In Vieles wächst man hinein und kann es lernen. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich fehlende Kenntnisse und Handlungsweise selbständig anzueignen.

Hatten sie Nachteile dadurch, dass Sie in Teilzeit geführt haben?

Berufliche Nachteile durch meine Teilzeit-Tätigkeit hatte ich nicht. Als Nachteil erwies sich mehr der Umstand, dass ich aufgrund meiner privaten Situation (alleinerziehende Mutter mit Kind) zeitlich und räumlich nur eingeschränkt verfügbar bin. Daher konnte ich nicht alle Möglichkeiten nutzen, die sich mir unter anderen Umständen geboten hätten. Ich habe mich meinen persönlichen Prioritäten entsprechend entschieden und manche Chance ungenutzt verstreichen lassen.

Gibt es bei Führen in Teilzeit auch so etwas wie eine Teilzeitfalle?

Eine Teilzeitfalle könnte sein, dass es in der Gesetzgebung zwar ein Recht auf Teilzeit, aber kein Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle gibt. Wer vorhat, nur für eine befristete Zeit in Teilzeit zu arbeiten, sollte möglichst auf einen Vertrag mit einer von vornherein zeitlich begrenzten Reduzierung der Arbeitszeit drängen. Außerdem empfehle ich, vor einer endgültigen Entscheidung mit dem Arbeitgeber sämtliche Folgen einer Teilzeit abzuklären, etwa die Auswirkungen auf Sonderzahlungen, Urlaubsansprüche, Altersversorgung, Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, Karriereaussichten und Rückkehrmöglichkeiten zur Vollzeit.

Kann eine Führungskraft, die Teilzeit arbeitet, die Karriereleiter weiter nach oben steigen?

Das kommt auf die individuellen Umstände an. Eine Karriere ist auch in Teilzeit nicht generell ausgeschlossen. Wenn ein Vorgesetzter das Engagement einer Führungskraft schätzt und sie über besondere Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt, wird er versuchen, sie auch für eine neue Aufgabe zu gewinnen und ihre Teilzeit dabei berücksichtigen. Teilzeitarbeit und Karriere sind stets in dem Maß miteinander vereinbar, in dem die beteiligten Akteure diesen Weg ermöglichen. Ich habe vor kurzem eine männliche Führungskraft interviewt, die in Teilzeit bereits zweimal befördert wurde.

Ab einer bestimmten Führungsebene muss man sich doch dem Unternehmen verschreiben. Sehen Sie Führen in Teilzeit auch bei CEOs?

Führungskräfte der höchsten Ebenen haben mehr Spielraum, ihre Arbeitszeit ohne fremde Einflussnahme flexibel zu gestalten und Aufgaben auf Hilfskräfte zu delegieren als andere. Bei ihnen verbleibt dennoch eine Vielzahl von Tätigkeiten, die nicht delegierbar sind und die sie selbst erledigen müssen. Sie befinden sich damit in einer vergleichbaren Situation mit Selbständigen. Die Erfahrung zeigt, dass viele selbständige Unternehmerinnen es durchaus schaffen, ihren Beruf mit einer Familie zu vereinbaren. Sie nutzen ihre Flexibilität beispielsweise dazu, ihre Arbeit zu unterbrechen und bestimmte Aufgaben zu ungewöhnlichen Zeiten und im Home-Office zu erbringen. CEOs werden daher mehr ihre Arbeitszeit flexibilisieren als reduzieren, um eine bessere Vereinbarkeit zu erreichen. Individuelle Möglichkeiten gibt es auf jeder Funktionsebene.

Welche Vorteile hat es für ein Unternehmen, wenn es „Führen in Teilzeit“ als familienbewusste Maßnahme anbietet? Sehen Sie Führen in Teilzeit als passendes Mittel, um mehr Frauen nach oben zu bringen?

Das Angebot, Führungskräften Teilzeit anzubieten wird dazu führen, dass sich mehr Mitarbeiter für höherwertige Tätigkeiten bewerben und dadurch auch eine bessere Qualität bei den Besetzungen erreicht werden kann. Viele qualifizierte und für verantwortliche Aufgaben geeignete Frauen bewerben sich nicht für Führungspositionen, weil sie die familienfeindlichen Arbeitsbedingungen ablehnen. Diese Tatsache wird sich verändern, wenn Frauen die Aussicht haben, dass sie auch nach einer Familiengründung ihren Arbeitsplatz behalten können. Für die Unternehmen ergeben sich daraus weitere Vorteile, wie die Verkürzung der Elternzeit durch attraktive Rückkehrangebote an die jungen Mütter – und Väter- und die Kostenersparnis für Aquise und Einarbeitung einer Nachfolgebesetzung.

Job-Sharing kommt langsam aber sicher in den Unternehmen an. Jetzt gibt es aber schon wieder einen neuen Begriff: Top-Sharing. Wie unterscheidet sich das Top-Sharing vom Führen in Teilzeit?

Top-Sharing ist der Begriff für Job-Sharing im Führungsbereich und eine Variante von Führen in Teilzeit. Dabei leiten zwei oder mehr Führungskräfte gemeinsam ein Team. Die Verantwortlichkeiten werden verbindlich geregelt. Die größte Herausforderung beim Top-Sharing ist, geeignete Paarungen für die geteilte Führungsposition zu finden. Mehr als bei allen anderen Teilzeitvarianten ist die menschliche Komponente ausschlaggebend für das Gelingen. Voraussetzung ist die Bereitschaft der Beteiligten, partnerschaftlich miteinander zu arbeiten und nicht in Konkurrenz zueinander zu gehen. Einzelkämpfer sind für Top-Sharing nicht geeignet. Wenn die Voraussetzungen stimmen, sind die Erfahrungen mit dieser Teilzeitform positiv.

Eine ketzerische Frage zum Schluss: Ist der Bedarf nach Führen in Teilzeit wirklich gegeben? Gibt es nicht immer auch Menschen, die gerne alles für den Job geben und denen dann die Führungspositionen gegeben werden, weil eben noch kein Umdenken stattgefunden hat?

Jeder Mensch sollte nach seinen persönlichen Vorstellungen leben können. Das Arbeitszeitmodell Führen in Teilzeit bereichert das bestehende Angebot für Leitende Angestellte um die Möglichkeit, neben einem anspruchsvollen Beruf mehr Zeit für Privates zu haben und dafür ein geringeres Einkommen in Kauf zu nehmen. Der Bedarf nach einer temporären oder dauerhaften Reduzierung der Arbeitszeit besteht nicht nur bei Eltern. Wer einen pflegebedürftigen Angehörigen versorgt, neben dem Beruf studiert, ein Ehrenamt ausübt oder eine politische Aufgabe übernommen hat, ein sportliches Ziel erreichen möchte oder sich ein privates Ziel gesetzt hat wie beispielsweise ein Buch zu schreiben, wäre möglicherweise froh über das Angebot, seine Arbeitszeit für eine gewisse Zeit reduzieren. Nicht wenige Führungskräfte wünschen sich einfach mehr Zeit für Dinge, die sie gerne machen und die ihre Lebensqualität steigern.

Der Trend nach vielfältigen und individuellen Lebensmodellen erfordert flexiblere Arbeitszeitmodelle, als sie heute in den Unternehmen üblich sind. Von dieser Entwicklung sind die Leitenden Angestellten nicht ausgenommen. Der Bedarf, auch als Führungskraft in Teilzeit arbeiten zu können, wird daher in Zukunft deutlich zunehmen.

Buchcover Brigitte Abrell - Führen in Teilzeit

Führen in Teilzeit ist möglich! – So lautet die Botschaft von Brigitte Abrell. Die Autorin ist selbst seit vielen Jahren als Führungskraft in Teilzeit tätig. Ihre Informationen, Tipps und Best-Practice-Beispiele sind daher praxisbezogen und sowohl für Führungskräfte als auch für Personalverantwortliche interessant.

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